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Der psychoanalytisch-systemische Therapieansatz von Peter Fürstenau 
Michael Kletter

Referat im Rahmen der Assistentenweiterbildung des Bezirkskrankenhauses Haar am 10.11.1998


Als  Psychotherapie im Jahr 1967 Kassenleistung wurde - und das war damals nur der analytische Ansatz, der verhaltenstherapeutische folgte erst Jahre später - war man sich sehr wohl bewusst, dass neben der Langzeittherapie auch ein kürzeres Verfahren zur Verfügung stehen muss, weil sich nicht alle Störungen hochfrequent behandeln lassen. So wurde die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als Verlegenheitslösung mit der „eigentlichen“, hoch geschätzten analytischen Psychotherapie aus der Taufe gehoben.

Dieses Leben im Schatten der "großen Schwester" blieb der TFPT bis heute erhalten, es existiert keine ausreichende Literatur zu diesem Ansatz, bisher gibt es noch keine ausgearbeitete Behandlungstheorie und -methode mit deutlicher Abgrenzung gegen die analytische Psychotherapie. Man könnte sagen, dass es sich hier um eine "weniger-aIs-Methode" handelt: Sie hat weniger Stunden, ein begrenztes Behandlungsziel, eine Konzentration des therapeutischen Prozesses auf einen aktuellen Konflikt, arbeitet mit "gebremster Regression". Allerdings wird an der Einsichtsvermittlung als kurativem Faktor festgehalten, so dass sich die Praktiker zurecht fragen, wie sie dieses gleiche Ziel mit geringeren Möglichkeiten nur erreichen sollen!

Angesichts dieses Engpasses in der analytischen Psychotherapie ist der Ansatz von Fürstenau interessant, in dem das analytische Modell mit Elementen der lösungsorientierten Therapie zu einem kurztherapeutischen Ansatz verbunden ist. Hier wird die Fähigkeit der Psychoanalyse zum differenzierten Verständnis (mit der Gefahr im Verstehen steckenzubleiben) mit der Potenz des systemischen Ansatz zur Mobilisierung des Systems und zur Ressourcenaktivierung (mit der Gefahr an der affektiven Verfassung des Patienten vorbei zu intervenieren) verknüpft. Durch das Knowhow der entwicklungsfördernden Interventionsmethode des lösungsorientierten Ansatzes wird die therapeutische Potenz der Psychoanalyse letztlich erst voll ausgeschöpft. Es ist ja kein Geheimnis: In jeder Methode gibt es Stärken und Schwächen, gerade deshalb rechtfertigen sich Integrationsansätze, indem sie die Gelegenheit schaffen, Stärken zu addieren bzw. synergistisch zu potenzieren. 

In letzter Zeit häufen sich Publikationen zum Thema Methodenintegration bzw. -kombination, denken Sie nur an Graves "Allgemeine Psychotherapie". Vor diesem Hintergrund könnte der Eindruck entstehen, dass nur noch wenige Therapeuten sich als Puristen verstehen, dass bei der überwiegenden Mehrheit der Therapeuten vielmehr die Bereitschaft wächst, sich auf die wechselnden Bedürfnisse des Patienten einzustellen. Theorien und Methoden sind offenkundig nicht für ewig in Stein gehauen, es mehren sich Anzeichen für den interdisziplinären Dialog. Das ist nun tatsächlich erst eine Entwicklung der letzten 10 bis 20 Jahre, schaut man zurück auf die ersten 100 Jahre seit Bestehen der Psychotherapie, so haben sich sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt:

1. Die analytische Methode ist - entsprechend der europäischen Geistestradition - auf die Klärung der Vergangenheit ausgerichtet und hat Selbsterkenntnis, Aufdeckung und Einsicht in unbewusste Zusammenhänge zum Ziel.

2. Auf der psychoanalytischen Grundlage entwickelte sich seit dem Zweiten Weltkrieg in den USA die humanistische Therapie. Beginnend mit dem klientenzentrierten Ansatz von Rogers entwickelten sich alle "wachstumsorientierten Therapien" wie Gestalt, Encounter Gruppen, emotive Ansätze usw. mit dem gemeinsamen Ziel, sich des Hier und Jetzt der Psyche und des Körpers bewusster zu werden.

3. In den 50er Jahren trat die behaviorale Richtung auf den Plan, später ergänzt durch die "kognitive Wende". Deren Ziel ist mehr die Veränderung des Verhaltens als das tiefere Verstehen des Problems.

4. In den 60er Jahren richtete sich das Interesse der Gesellschaft mehr auf Systeme wie die Gruppe und die Familie. Die sich hier entwickelnde systemische Therapie zeigte zwei Merkmale, die sie von den drei vorherigen Richtungen grundsätzlich unterschied: Erstens interessierte sie sich mehr für das, was zwischen als was in den menschlichen Wesen vor sich geht, d.h. Behandlungseinheit war nun nicht mehr das Individuum. Und während die anderen großen Schulen sich hauptsächlich damit befassten, die Defizite der Patienten zu identifizieren, wurde im systemischen Ansatz eine Strömung immer stärker, die darauf zielt, die vorhandenen Kräfte des Patienten in wirkungsvoller Weise auszuschöpfen. Diese letztere Tendenz verbindet sich mit dem Namen Milton Erickson. Heutzutage ist es an der Versorgungsbasis offensichtlich nicht mehr die Frage, ob man Methoden integriert oder kombiniert, sondern nur noch welche! 

Allerdings muss man auch sehen, dass die psychotherapeutischen Institute als Vermittler und Wächter der reinen Lehre sich sehr schwer tun, dieser Entwicklung zu folgen. Gerade in der Psychoanalyse haben Diffamierung und Ausgrenzung von "Abweichlern" eine lange Tradition, so war es nicht verwunderlich, dass Fürstenau in einer Diskussion seines Beitrags (Forum der Psychoanalyse) von Schubart (Frankfurt) unbewusste Psychoanalysefeindlichkeit als Motiv seines Ansatzes unterstellt wurde! 

Tatsächlich steht Fürstenau mit seinem Ansatz in einer alten Streittradition in der Analyse: Müssen frühe traumatische Erlebnisse in einem lang anhaltenden regressiven Prozess bearbeitet werden oder geht das sogar besser in einer intensiven kurztherapeutischen Vorgehensweise? Dieser Streit zwischen Lang- und Kurztherapeuten begleitet die Psychoanalyse von ihrem Entstehen an: Freud selbst hat Beispiele für Kurztherapie in verschiedenen Settings geliefert, Ferenczy, Stekel und Rank sind prominente Vertreter kurztherapeutischer Ansätze, in Amerika haben Alexander und French mit ihrem Buch zur Kurztherapie einen Aufschrei der Empörung unter orthodoxen Analytikern ausgelöst, in Europa waren Malan und Balint die Wegbereiter der Fokaltherapie, die aktuelle analytische Kurztherapie verbindet sich in Deutschland mit den Namen Klüwer und Lachauer. 

Allerdings unterscheidet sich das jetzt vorzustellende Konzept von Fürstenau durch die explizite Ressourcenförderung von allen bisher genannten analytischen Kurztherapieansätzen, die alle kein Konzept für die aktive Förderung der gesunden Ich-Anteile kennen! 

Wie schaut Fürstenaus Konzept nun aus, was bleibt analytisch, was kommt aus der systemischen Seite hinzu: Charakteristisch ist, dass sich der Therapeut schnell und unmittelbar in die aktuelle Situation des Patienten vertieft! Dessen Eigenheiten erschließen sich nicht aus der Anamnese, sondern aus der aktuellen Situation mit dem Therapeuten und mit den Partnern im aktuellen Lebensfeld. 

Dabei interessiert besonders, wie der Patient die Situation meistert, die aktuell ansteht, und mit dieser Blickrichtung geraten die Ich-Funktionen des Patienten ins Visier: Der Ich-Begriff Freuds ist nach wie vor ein sehr moderner und der gesamte Bereich der Ich-Psychologie ist ein wesentlicher Bestandteil des Fürstenau'schen Ansatzes. Nach Freud geht es bei menschlicher Lebensbewältigung bekanntlich immer um die Befriedigung von persönlichen Bedürfnisstrukturen und Anforderungen der Umwelt, und dazu vermittelt das Ich die Fähigkeiten und Fertigkeiten, d.h. das Ich ist eine vermittelnde Instanz zur Bedürfnisbefriedigung innerhalb der jeweiligen Umwelt. 

Um nun bei der Ich-Diagnostik in unmittelbaren Kontakt mit dem Patienten und seiner Symptomatik zu kommen, stellt man sich am besten folgende Fragen: 

a) Vor welcher Aufgabe schreckt der Patient zurück (hier sind nicht interne Dinge gemeint sondern konkrete Lebensbewältigung!)? 

b) Wohin geht der Patient zurück, auf welchen früheren Entwicklungsstand regrediert er, wenn er die aktuelle Aufgabe nicht bewältigen kann (das ist die Bestimmung des Entwicklungsalters)? 

Sich so dem Patienten zu nähern, schafft eine Brücke zum interaktionellen Verständnis der Symptomatik, nicht auf die Person und ihre Mängel bezogen, sondern auf die zu meisternde Lebensaufgabe. 

Zum analytischen Verständnis gehört als weiterer Aspekt die Entwicklungsperspektive: Damit ist gemeint, dass jeder Mensch sich im Laufe des Lebens in der Auseinandersetzung mit den jeweils anstehenden Aufgaben permanent verändert. Es gibt vielfältige pathologische Entwicklungsmöglichkeiten, die in der Psychoanalyse als Ergebnis von Traumaverarbeitung verstanden werden, es gibt aber auch die gesunde Entwicklung mit bestimmten Abfolgen von normalen Schritten entsprechend dem Lebensalter, dem Ort im familiären Netzwerk bzw. der gesellschaftlichen Rolle.

Jeder Therapie und Beratung liegt implizit ein Konzept der lebenslänglichen normalen Entwicklung zugrunde, denn letztlich geht es in jeder Therapie darum, die normale Entwicklung wieder in Gang zu bringen, nachdem sie an einer bestimmten Stelle arretiert ist.

Die zentrale Frage bei der entwicklungspychologischen Einschätzung ist: wie geht der Patient mit seinen Aufgaben um? Wie ein Kind in dualen, ödipalen, pubertären, adoleszenten Bezügen? Wie bewältigt er die Partnerwahl, wie die Elternschaft usw.? Jeweils stellen sich neue Aufgaben, die eine Person im Zuge ihrer Entwicklung zu bewältigen hat. Z.B. ein Paar bekommt ein Kind, der junge Vater schreckt vor den neuen Aufgaben zurück, beginnt wieder ein unverbindliches Leben mit Partnerwechsel, vermehrtem Ausgehen usw.

Dieses Entwicklungskonzept geht davon aus, da alle Menschen in die neue Situation mit den Erfahrungen von früher hineingehen. Dass ich in einer gänzlich neuen Situation stehe, merke ich erst, wenn meine alten Erfahrungen nicht zu einer erfolgreichen Situationsbewältigung ausreichen. Wenn mit meinem bisherigen Repertoire die Situation nicht zu meistern ist, komme ich in eine kritische Situation. In dieser Krise werden Prozesse stimuliert, den Unterschied von früher und jetzt klar zu erkennen, etwas Neues zu entwickeln und im Maße des Gelingens die Krise zu überwinden. Dies ist in Kurzform das normale Muster der Entwicklung über krisenhafte Situationen: Ich bringe bisherige Erfahrungen ein und stelle fest, dass das nicht funktioniert, in der folgenden Verunsicherung bin ich gezwungen, neue Lösungen (= Ich-Funktionen) zu entwickeIn. 

Aus diesem Verständnis ist es das Ziel der Therapie, dem Patienten zu helfen, diesen nächsten Schritt zu meistern. Im Sinne dieser Zielsetzung geht es also um die Meisterung einer allein nicht zu bewältigenden Entwicklungsaufgabe. Aus der Verfolgung eines klaren und dringlichen Zukunftsziels ergibt sich auch eine starke Motivation. Nicht dagegen aus dem Ziel "Aufarbeiten der Vergangenheit". Deshalb sollte der Therapeut sich mit dem Patienten vorher verständigen, ob es darum geht, den nächsten Schritt zu tun, oder ob der Patient verstehen will, warum er ein so neurotischer Mensch ist. 

Wenn nun ein Ziel formuliert ist, zeigen sich bei seiner Verfolgung deutliche Behinderungen, und diese Behinderungen hängen mit der Übertragung zusammen. Wie geht man damit um? Das zentrale therapeutische Anliegen soll bekanntlich die Auflösung der Übertragung sein. Das geschieht nach Gill in zwei Schritten: Erstens das Muster der pathologischen Überzeugungen und Einstellungen gegenüber anderen Menschen dem Patienten verfügbar machen (= Bewusstmachen der Übertragung) und zweitens dem Patienten Abstand zu seinen bisherigen Einstellungen vermitteln (= Auflösung der Übertragung).

Der analytisch orientierte Therapeut zeigt dem Patienten ebenfalls das Muster seines Verhaltens, dem bleibt es dann überlassen, ob er mit seiner heutigen Lebenserfahrung die gleichen Muster aufrechterhalten will wie früher, als er sie entwickelt hat. Hier aktiv neue Erfahrungen zu ermöglichen (das wäre der zweite Schritt der Übertragungsanalyse) wird von Psychoanalytikern oft als dirigistisch und suggestiv angesehen. 

Allerdings muss der Patient einen Abstand zu seinen überkommenen Mustern einnehmen, um sich überhaupt davon zu distanzieren zu können. Das hat Balint als "Neuerfahrung" und Alexander als "korrigierende Neuerfahrung" beschrieben. Und das ist die erklärte Absicht der lösungsorientierten Therapie: Vielfältige neue Erfahrungen zu ermöglichen, um Abstand zum alten Muster herzustellen. Denn man kann nicht erwarten, dass ein Patient Altes aufgibt, ehe er sich nicht neue, bessere Alternativen erschlossen hat. 

(Literaturempfehlung: Fürstenau, Peter: Entwicklungsförderung durch Therapie: Grundlagen psychoanalytisch-systemischer Psychotherapie.  München: Pfeiffer, 1992)