
Coaching – Ein Blick in die Werkstatt
Dr. Michael Kletter
Viele Führungskräfte würden es als Eingeständnis ihres Scheiterns erleben, einen Coach in Anspruch zu nehmen. Im überkommenen Image des Managers sehen sie sich dazu verpflichtet, schwierige Situationen alleine zu meistern. Zwar sind sie selbstverständlich zu einer Weiterbildung bereit, wenn sie sich fachlich nicht fit fühlen, und wenn sie schwierige Mitarbeiter haben, scheuen sie auch nicht vor einem Motivations-Workshop zurück. Aber Coaching – das hat für viele etwas mit persönlicher Schwäche zu tun! „Coaching? Da könnte ich mich ja gleich auf die Couch legen“, war der Kommentar einer Führungskraft aus der Wirtschaft zu diesem Thema.
Andere Verantwortungsträger verbinden mit Coaching die Vorstellung einer Notfallmaßnahme, ähnlich einem Zahnarztbesuch: Man geht erst hin, wenn die Schmerzen unerträglich geworden sind. Für diese Gruppe hat Coaching nichts Ehrenrühriges, wie es bei der ersten der Fall ist, sondern wird als letzte Rettung in einer Krise angesehen. Etwa, wenn man sich im Unternehmen isoliert oder gemobbt fühlt, wenn ein Mitarbeiterkonflikt eskaliert oder wenn der ständige Entscheidungsdruck droht, in ein Burnout-Syndrom zu münden.
Wieder andere Führungskräfte nutzen den Coach nicht vorrangig zur Behebung von Störungen und Krisen, sondern zur Reflexion der laufenden Arbeit – oft ganz ohne akuten Problemdruck. In einer geschützten Atmosphäre über den beruflichen Alltag mit seinen Höhen und Tiefen sprechen zu können und dabei ein unvoreingenommenes, hilfreiches Feedback zu erhalten, ist für sie das Entscheidende. Denn mit dem Aufstieg auf der Karriereleiter geht meist zunehmende Einsamkeit einher; die sozialen Strukturen für ein angstfreies, gemeinsames Reden und Nachdenken werden immer spärlicher.
Während die Wertschätzung von Coaching auf positiven Erfahrungen beruht, basiert die Ablehnung häufiger auf Vorurteilen statt auf negativen Erlebnissen. Besonders dann, wenn eigene Erfahrungen fehlen, sprießen Fantasien ins Kraut. Man begegnet Zerrbildern psychotherapeutischer Methoden sowie erstaunlichen Vorstellungen zwischen Couch, Urschrei und Räucherstäbchen. Doch was passiert tatsächlich im Coaching?
Problemverständnis und Lösungsvorstellung
Ein Coachingprozess beginnt verständlicherweise damit, dass der Klient sein persönliches Erleben und seine Sicht der Dinge schildert: ihm werde übel mitgespielt, jemand säge an seinem Stuhl, er finde keine ausreichende Unterstützung bei seinem Vorgesetzten, oder er sei einer bestimmten Seilschaft machtlos ausgeliefert. Manchmal äußert der Klient auch Selbstzweifel: Er fühle sich von seiner derzeitigen Aufgabe überfordert, bringe sich selbst in Schwierigkeiten, agiere kopflos oder traue sich nichts mehr zu. Solche Klagen und Anklagen bilden den typischen Einstieg in einen Coachingprozess. Der Klient steht unter enormem Druck, und seine bisherigen Bemühungen haben keine Lösung gebracht.
Was der Coach zu diesem Zeitpunkt kennt, ist der beklagte Zustand – die Situation, unter der der Klient leidet. Ob dies jedoch das eigentliche Problem ist, muss erst noch herausgefunden werden. Hier setzt der Coach an: Er fragt gezielt nach und führt den Klienten beharrlich dazu, konkrete Einzelheiten darzulegen. So verschafft er sich eine klare Vorstellung vom situativen Kontext, vom organisatorischen Umfeld und von den beteiligten Personen.
Dabei zeigt sich oft, dass hinter der Klage „Ich fühle mich meinen beruflichen Aufgaben nicht mehr gewachsen“ ganz unterschiedliche Ursachen stecken können. Häufig wird deutlich, dass das Problem zwar auf der Personenebene sichtbar wird, seinen Ursprung jedoch in ungeeigneten organisatorischen Strukturen hat. In solchen Fällen geht es folgerichtig um Organisationsberatung – ein Prozess, der ein anderes Setting, andere Teilnehmer und meist auch einen anderen Berater erfordert. Hätte der Coach die geschilderte Problemlage nicht auf die Organisationsebene übersetzt, wäre lediglich eine Psychologisierung organisatorischer Missstände erfolgt – ein Ansatz mit absehbar geringem Erfolg.
Genau so kann sich bei der Klärung herausstellen, dass ein Problem im privaten Bereich den Klienten so stark belastet, dass seine berufliche Leistungsfähigkeit nachlässt. Besonders erfolgsgewohnte Führungskräfte neigen dazu, Sorgen, Ängste oder Gewissensnöte in privaten Beziehungen und im familiären Umfeld zu verdrängen und durch berufliche Erfolge zu kompensieren – bis sie sich dabei erschöpfen. Der Coach würde seinem Klienten einen Bärendienst erweisen, wenn er sich allein mit der nachlassenden Leistungsfähigkeit beschäftigt, anstatt das eigentliche Problem zu lokalisieren und dem Klienten die Möglichkeit zu geben, sich lösungsorientiert mit der privaten Belastung auseinanderzusetzen. Je nach eigener psychotherapeutischer Kompetenz wird der Coach in solchen Fällen entweder an einen Spezialisten verweisen oder selbst diese Arbeit übernehmen.
Schließlich kann sich bei genauerem Hinsehen zeigen, dass der beklagte Zustand „Ich fühle mich meinen beruflichen Aufgaben nicht mehr gewachsen“ auf beruflich relevantes Verhalten des Klienten zurückzuführen ist. Bei der weiteren Klärung lässt sich der Coach von der zentralen Frage leiten: „Was trägt der Klient dazu bei, dass sein berufliches Problem bestehen bleibt oder womöglich verstärkt wird?“
Das beobachtete und berichtete Verhalten fügt sich dann oft zu Mustern zusammen, die Rückschlüsse auf persönliche Einstellungen erlauben. Es geht um subjektive Überzeugungen – über die Welt, über die eigene Person und über andere Menschen. Solche Einstellungen haben sich im Laufe der persönlichen Entwicklung aufgrund bestimmter Erfahrungen gebildet und sind dem Klienten so selbstverständlich geworden, dass er sie nicht mehr als individuelle Eigenheiten erkennen kann. Genau hier muss der Coach ansetzen: Denn gerade diese tief verwurzelten Überzeugungen führen oft dazu, dass eine Person immer wieder in ähnliche Problemsituationen gerät, ohne zu verstehen, wie es dazu kommt.
So klagte der Leiter eines mittelständischen Betriebs über zunehmende Überforderung und zeigte sich vor allem ratlos darüber, dass er mit den neu eingerichteten Stellen für zwei Geschäftsführer „bisher nur Enttäuschungen erlebt“ habe und die dringend nötige Entlastung nicht eingetreten sei.
Bei der beharrlichen Auseinandersetzung mit konkreten Inhalten wurde der Klient auf einen Widerspruch in seinem Verhalten aufmerksam: Während er ausdrücklich selbstverantwortliches Arbeiten von seinen Geschäftsführern verlangt und sich lediglich letzte Entscheidungen vorbehält, schaut er ihnen bei ihrer Arbeit ständig über die Schultern und kommt immer wieder „beiläufig“ auf den Stand der Dinge zu sprechen. Die Geschäftsführer hatten daraufhin nachvollziehbar entweder ihre Selbstständigkeit vorzeitig aufgegeben oder mit Empörung auf die latente Kontrolle reagiert. Hinter der ursprünglichen Klage, mit der Arbeit nicht mehr fertig zu werden, weil die Geschäftsführer „mehr Arbeit machen als sie wegschaffen“, trat nun das eigentliche Problem in der Interaktion zutage.
Beratungsziel
So wichtig es ist, Probleme genau zu definieren, so wichtig ist es auch, die Ziele der Beratung präzise festzulegen. Natürlich geht es letztlich darum, dass unser Beispiel-Klient wieder mit seiner Arbeit zurechtkommt. Doch dieses Ziel eignet sich kaum als konkretes Beratungsziel – schließlich ist man mit seiner Arbeit nie wirklich „fertig“. Auch das Ziel „die Interaktion mit den Geschäftsführern zu verbessern“ bleibt zu ungenau: Woran misst man, was hier besser ist? Und wer entscheidet, wann es gut genug ist?
Gute Ziele müssen so gestaltet sein, dass sie dem Klienten als klarer Maßstab dienen können, an dem er seinen Fortschritt messen kann. Dafür sollten sie möglichst konkret, eindeutig und – besonders wichtig – ausreichend klein sein. Kleine Ziele ermöglichen schnelle Fortschritte, und nichts motiviert und aktiviert so sehr wie sichtbare Fortschritte!
Je klarer dem Coach das innere Erleben des Klienten und sein Konflikt sind, desto besser kann er sich darauf einstellen und umso präziser die Zielansprache erarbeiten.
Dabei ist es keineswegs nötig, dass der Klient die Einsicht des Coaches direkt erfährt. Vielmehr muss der Coach seine Erkenntnis in eine Form bringen, die der Klient annehmen kann. Der Coach sollte also nicht seine Einsicht direkt mitteilen, sondern sie so nutzen, dass sie dem Klienten dienlich ist.
In unserem Beispiel könnte das etwa so formuliert werden:
„Ihrem Selbstverständnis als Chef würde es widersprechen, Ihre Mitarbeiter kleinlich zu kontrollieren. Im Gegenteil, Sie möchten alles tun, um Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern. Andererseits tragen Sie letztlich die Verantwortung und müssen daher immer gut informiert sein. Ihr Dilemma ist es nun, dass diese beiden legitimen Interessen schwer unter einen Hut zu bringen sind – wie der bisherige Verlauf gezeigt hat.“
Diese Darstellung ist nicht kränkend und bringt die Situation dennoch präzise auf den Punkt. Sie bietet eine gute Ausgangsposition für das anschließende Aushandeln des Beratungsziels. Dabei muss der Coach darauf achten, keine utopischen Ziele vom Klienten zu übernehmen und sich selbst vor übermäßigem Ehrgeiz zu schützen.
Stimulierung von Veränderung
Nachdem die Situation geklärt und die Ziele definiert wurden, geht es sozusagen auf die Zielgerade: Es muss ein Veränderungsprozess angestoßen werden. Dabei kann es nicht die Aufgabe des Coaches sein, das Problem des Klienten direkt zu lösen. Vielmehr liegt es in seiner Verantwortung, die Kräfte des Klienten so zu aktivieren und zu lenken, dass sie den Veränderungsprozess konstruktiv und nachhaltig in Gang halten.
(Handout für ein Coaching-Seminar im Ärztlich-Psychologischen Weiterbildungskreis, München)