Fachaufsätze

Der Psychoanalytiker als Berater in der beruflichen Umwelt: Wandel eines Berufsbildes?

Dr. Michael Kletter

 

Wie auch im Veranstaltungsteil der MAA zu beobachten ist, gibt es seit einigen Jahren Weiterbildungsveranstaltungen. zur Thematik" Organisationsberatung", "Personalentwicklung", "Coaching", "Konfliktmanagement". Sie wenden sich in erster Linie an psychoanalytisch orientierte ärztliche und psychologische Psychotherapeuten sowie Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin. Allein im Raum München sind es vier Institute, die neben ihrer psychoanalytisch/ psychotherapeutischen Ausbildung Workshops und Curricula zu dieser Thematik anbieten. In anderen Großstädten ist es nicht anders.

Supervision und Personalentwicklung Auf den ersten Blick will das gar nicht zusammenpassen, die ehrwürdige Dame Psychoanalyse und die Welt der Wirtschaft, des Business und des Profits. Bei näherem Hinschauen zeigt sich allerdings, dass da gar nichts so Verwunderliches geschieht: Psychoanalytiker waren schon immer im Sinne beruflicher Beratung tätig, und zwar gegenüber den psychoanalytischen Ausbildungskandidaten bei ihren ersten eigenen Behandlungen. Diese Anleitung, das theoretisch Gelernte angemessen in die Praxis umzusetzen, ist allgemein als Supervision bekannt. Der Supervisor trägt all das bei, was der Kandidat zur Behandlung braucht und noch nicht selbst zur Verfügung hat.

Später hat sich, ebenfalls von der Psychoanalyse ausgehend, eine Form der Supervision etabliert, die den meisten Medizinern als "Balintgruppe" geläufig ist. Teilnehmer solcher Gruppen sind Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen, die mit Unterstützung des Psychoanalytikers schwierige Arzt-PatientenSituationen aus dem Arbeitsalltagreflektieren und geeignete Interventionen erarbeiten. Dies stellte eine erste Ausdehnung des Anwendungsfeldes der Supervision dar.

Der Gewinn der Balintgruppenarbeit, mit schwierigen 'zwischenmenschlichen Situationen besser zurecht zu kommen und so die Arbeitszufriedenheit zu steigern, legte es nahe, dieses Verfahren auch aufTeams, Arbeitsund Projektgruppen auszudehnen. Hier kommen nun nicht mehr Angehörige desselben Berufs zusammen, die an verschiedenen Orten eine ähnliche Arbeit verrichten (wie in der Balintgrupe), sondern Repräsentanten unterschiedlicher Berufe und Funktionen, die in der gleichen Organisation zusammenarbeiten. Mit diesem Schritt von der beruf: >homogenen zur berufsheterogenen Zusammensetzung der Klientel öffnete sich ein enormes Feld für Supervision in den verschiedenen Arbeitsbereichen unserer Gesellschaft und auf den verschiedenen' Hierarchieebenen von Organisationen. Während im sozialen Bereich diese Form von Beratung nach wie vor als "Supervision" bezeichnet wird, firmiert sie in Wirtschaft und Verwaltung unter "Personale, ntwicklungsmaßnahmen". Gemeint ist aber immer dasselbe: Miteinander arbeitende Menschen dabei zu unterstützen, ihre Arbeit erfolgreich und persönlich befriedigend zu tun.


Kompetenzen
Welche bestehenden Kompetenzen kann der Psychoanalytiker nutzen, und welche Fähigkeiten muss er hinzu erwerben, um in dem neuen Tätigkeitsfeld jenseits traditioneller Berufsgrenzen erfolgreich arbeiten zu können? Nutzen kann er alle bestehenden Kompetenzen, die er aus der psychoanalytischen Ichpsychologie (Entwicklungspsychologie, Objektbeziehungstheorie) bezogen hat: Das Wissen von den lebenslangen Veränderungen des Menschen in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und das - durch die Übertragungsanalyse ermöglichte - differenzierte Verständnis menschlichen Erlebens und Verhaltens. Neu erwerben muss er die Fähigkeit, mit geeigneten Interventionen Ressourcen aufzuspüren, die organisierende Wirkung von Zielen zu nutzen und Änderungsprozesse unmittelbar und gezielt anzustoßen. Die dem Psychoanalytiker so selbstverständliche Orientierung an Mängeln und Problemen wird ihm dabei oft im Weg stehen und muss klar als methodische Besonderheit der Psychoanalyse distanziert werden, denn die Aufarbeitung von Pathologie ist in Beratung und Supervision nicht gefragt! Um hier wirkungsvoll sein zu können, sind methodische Anleihen bei der systemischen Therapie unverzichtbar. Sie ist kompatibel mit dem ichpsychologischen Ansatz der Psychoanalyse und eröffnet neue Sichtweisen und Lösungsmöglichkeiten. Schließlich wird er die Erfahrung machen, wie groß die Konkurrenz auf diesem Dienstleistungsmarkt ist, aber auch, wie belebend und motivierend die Arbeit ohne Psychotherapierichtlinien; Ausbildungsstandards und Abrechnungsziffern ist.


Wandel des Berufsbildes?
Die eingangs gestellte Frage ob das berufliche Engagement von Psychoanalytikern als Berater in der beruflichen Umwelt den Wandel eines Berufsbildes anzeigt, ist zu bejahen. Allerdings geht es dabei nicht um etwas grundsätzlich Neues, sondern um die konsequente WeiterentwicklUng einer Tendenz, die schon seit den Anfängen der Psychoanalyse zu beobachten ist: Das sind alle Aktivitäten, eine. bestimmte psychoanalytische Methodik in andere methodische Ansätze zu integrieren, um auf diese Weise Menschen zu einer günstigen weiteren Entwicklung zu verhelfen. Freud selbst bezeichnete diese Tendenz in Abgrenzung von der reinen Psychoanalyse als "angewandte" Psychoanalyse. Beispiele dafür sind zahlreiche integrative Psychotherapiekonzepte mit psychoanalytischen Elementen, gruppendynamische Trainingsmethoden und eben auch der weite Bereich beruflicher Beratung, über den hier berichtet wurde.

Die hier dargestellten Überlegungen beziehen sich im wesentlichen auf Arbeiten von Fürstenau, P. (1992,2001 ). Weitere Literaturangaben beim Verfasser.